Gebärdensprache-Abstraktion

Seit mehreren Jahren versuche ich, durch meine Kunst auf die Situation von uns Hörgeschädigten und Gehörlosen aufmerksam zu machen und kämpfe auf meine Art für die Anerkennung der Gebärdensprache. Die Gebärdensprache ist unsere Sprache, sie ist linguistisch gesehen ebenso ein eigenes Sprachsystem wie jede Lautsprache, die wir auf der Welt vorfinden. Viele Leute bezeichnen uns Gehörlose fälschlicherweise als „die Taubstummen“. Der Begriff „taubstumm“ stellt für uns eine Diskriminierung dar, denn wir sind zwar taub, wir können nichts oder nur wenig hören, aber wir sind auf keinen Fall stumm, was ja soviel bedeutet

wie sprachunfähig. Wir beherrschen die Lautsprache oft nur fragmentarisch, aber mittels der Gebärdensprache sind wir sehr wohl in der Lage unsere Gedanken mitzuteilen.

Ich weiß nicht, inwieweit Hörende darüber informiert sind, in welcher unsichtbaren Isolation wir uns innerhalb der Gesellschaft befinden. Die deutsche Gebärdensprache ist noch immer nicht vollends anerkannt, obwohl festgestellt werden muss, dass nur die wenigsten Gehörlosen und hochgradig Schwerhörigen nur über die Lautsprache zufriedenstellend mit Hörenden kommunizieren können. Dies sei aber nur eine Hintergrund-Information zum Verständnis meiner Werke, die seit Beginn der neunziger Jahre entstanden sind, die ich als Gebärdensprache-Abstraktionen bezeichne.

Unsere Gebärdensprache war es, die mich zu diesen Werken inspirierte. Wie andere Künstler z. B. Landschaften auf ihre wesentlichen geometrischen Formen abstrahieren, so abstrahiere ich den Bewegungsfluss der Hände beim Gebärden von Worten, Sätzen oder gar kurzen Texten. Ich stelle mir vor, wie ich z. B. das Wort „Kunst“ gebärde und setze entsprechend der Bewegung meiner Hand/Hände beim Gebärden dieses Wortes Linien ins Bild. Welche Farbtöne ich für einzelne Linien und Flächen benutze, hängt ab vom Sinn des Wortes oder eines Satzes. So entstehen Bilder, in denen eine Fülle von Linien oder auch ganzen Flächen in eine farbliche Harmonie miteinander treten.

Wenn man meine Bilder betrachtet, wird man reichhaltige Bewegungsrichtungen in ihnen erkennen. Natürlich muss man mit der Gebärdensprache vertraut sein, will man in den Bildern bestimmte Worte erkennen. Dass dies wirklich möglich ist, wurde mir aber schon von manchem Betrachter bestätigt. Eine bestimmte konzentrierte Art des Anschauens, wie es z. B. für das Erkennen der einmal so modernen dreidimensionalen Bilder nötig ist, wird nicht genügen. Der Betrachter muss schon sein inneres Auge trainieren um die versteckten Worte oder Sätze in meinen Bildern zu finden. Ich hoffe aber, dass man sich von der Harmonie der Farben, Linien und Flächen in meinen Bildern ansprechen lässt und sie nicht mit der Bemerkung abtut: „Man kann auf diesen Bildern ja nichts erkennen!“ Wer sagt denn, dass in der Malerei nur solche Bilder gut und schön sind, auf denen etwas Gegenständliches zu erkennen ist?

Auf meinen Bildern lassen sich Ähnlichkeiten zu japanischen, chinesischen oder hebräischen Schriftzeichen erahnen, ebenso versteckte Landschaftsformen, Gesichter und Figuren wie z. B. Häuser oder Tierkörper.

Wer als Hörende/r hörgeschädigte oder gehörlose Menschen beim Gebärden zum ersten Mal beobachtet, wird von den in meinen Bildern eingefangenen Bewegungsabläufen auf Anhieb nicht viel erkennen, weil alles viel zu schnell geht. Unsere Worte „verhallen“ in aller Stille genauso schnell wie die mit Stimme gesprochenen Worte. Wer aber meine Bilder studiert, trainiert vielleicht seine Augen für diese Bewegungsabläufe und gewinnt auf diese Weise leichter den Zugang zur Gebärdensprache. Meine Bilder sollen aber nicht als bloße Anleitung zum Erlernen der Gebärdensprache verstanden werden. Nein, jedes einzelne Bild spricht als Kunstwerk für sich alleine. Es kommt wie bei allen Kunstwerken darauf an, dass der Betrachter eines Bildes bei dessen Anblick in seinem tiefsten Inneren angerührt wird und mit seinem inneren Auge das Wesentliche, die Botschaft des Bildes, aufnimmt. Seit wenigen Wochen zeige ich ganz neue Arbeiten. Wieder habe ich einen Versuch unternommen, im Gespräch zu bleiben, dabei geht es nicht darum Inhalte zu ergründen oder zu verstehen, sondern die „Explosion der Hände“ ist mein vorrangiges Ziel. Sie symbolisiert eine Sprache von innen, Schwingungen gebärdender Hände von außen betrachtet erfüllen den Raum, werden sichtbar ohne erkennbare Aussage, die Sprache bleibt innen. Für diese Bilder gestalte ich zunächst einen Untergrund, vertiefe mich in sich selbst und übertrage bei geschlossenen Augen mit explodierenden Händen farbige Gedanken. Farbe wandelt sich dabei für mich in sichtbare Musik-Schwingungen, erzeugt Freude, und die Freude empfinde ich wie Schmetterlinge im Bauch.

Auf die Frage nach meiner immensen Schaffenskraft antworte ich kurz und bündig:

Ausdauer – Energie – Disziplin – Sinn – Freude

sind fünf Bereiche, die mich prägen, wenn einer fehlt, dann gibt es für mich keine gute Arbeit. Betrachten Sie nun meine neuesten Bilder, suchen Sie nach Schwingungen der „explodierten Hände“ oder erkennen Sie in den Farben sichtbar gewordenen Musik Begegnen Sie mir, dem Künstler, mit Freude und hinterfragen Sie meine Kunst.

Ich, Dieter Fricke, wünsche der Ausstellung interessierte Besucher/Innen, die sich einen Blick für schöpferische Vielseitigkeiten und Ausdrucksmöglichkeiten erhalten haben.

Dieter Fricke, 1998

Fotobild-Nr. 1428

Fotobild-Nr. 1479

Hallo, herzlich Willkommen
Fotobild-Nr. 4468

Fotobild-Nr. 1753